Heftiger Hagelschauer in Stein am Rhein
Meersburg – Stein am Rhein / 20.10.2010 214. Tag
Die Fähre bringt mich und Emma von Meersburg nach Staad nördlich von Konstanz. In der Nacht hatte es am See noch intensiv geregnet. Während wir zur anderen Seite übersetzen wird das Sonnenloch über dem Bodensee immer größer. Das Schloss der Familie Bernadotte auf der Insel Mainau liegt im gleißenden Sonnenlicht. Auf der gegenüberliegenden Schweizer Seite hat es in der Nacht wohl kräftig geschneit. Die Wiesen und Hänge unterhalb der Berge sehen aus wie mit Puderzucker bestäubt. Der Wind treibt kräftige Wellen ans Bug der Fähre, die das Wasser schäumend zur Seite schiebt. Ich schließe meine Jacke bis zum Kragen, der Wind steigt durch alle Ritzen. Ich hoffe, der Winter lässt noch etwas auf sich warten.
Nach knapp einer Stunde haben wir die Brücke in Konstanz erreicht und folgen der Beschilderung des Seerundwanderweges Richtung Westen. Hinter Konstanz wandern wir vom Paradies in den Rosengarten und von dort nach Gottlieben. Irgendwo zwischen diesen kleinen Dörfern mit ihren klangvollen Namen haben wir die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz überschritten. Gerne hätte ich mit Emma im Paradies übernachtet. Es ist noch zu früh. Der blaue Himmel lässt uns weiterwandern. Wer weiß wie sich das Wetter in den nächsten Wochen entwickeln wird.
Am Hafen in Ermatingen machen wir die erste kurze Rast. Unzählige Schwäne liegen wie weiße Bojen auf dem Wasser, die Hälse und Köpfe tief eingetaucht. Ein Hinweisschild informiert mich, dass in Ermatingen und einigen westwärts gelegenen Stellen, die ersten Bewohner des heutigen Kantons Thurgau an den geschützten Buchten des Untersees ihre Hütten bauten. Einige Funde lassen sich eindeutig in die Steinzeit um etwa 3000 Jahre v. Chr. zurückdatieren. Andere Funde sprechen für eine noch frühere Besiedlung der Gegend rund um Ermatingen.
Viele alte Fachwerkhäuser sind liebevoll restauriert und verleihen dem Ortskern ein besonderes Flair. Dunkle Wolken ziehen auf aber wir wandern noch auf der Sonnenseite über Mannenbach, Berlingen und Steckborn immer in Sichtweite des Wassers.
Rechter Hand sehen wir die Insel Reichenau. Mit 4,5 Kilometern Länge und 1,5 Kilometern Breite ist sie die größte der drei Bodenseeinseln. Seit 1838 ist sie mit einem Damm mit dem Festland verbunden. 724 gründete der Wanderbischof Pirmin auf der Insel das Benediktinerkloster. Vom 8. bis zum 11. Jahrhundert entwickelte es sich zu einem geistigen Zentrum des Abendlandes. Die UNESCO hat im Jahr 2000 die frühere Klosterinsel Reichenau in die Welterbeliste aufgenommen, da sie als Kulturlandschaft ein herausragendes Zeugnis von der religiösen und kulturellen Rolle eines großen Benediktinerklosters im Mittelalter ablegt. Die gut erhaltenen Kirchen der Insel bieten anschauliche Beispiele der klösterlichen Architektur vom 9. bis 11. Jahrhundert. Die restaurierten Wandmalereien zeigen die Reichenau als „künstlerisches Zentrum mit großer Bedeutung für die europäische Kunstgeschichte des 10. und 11. Jahrhunderts“. Heute leben auf der Insel etwa 3500 Einwohner.
In Steckborn entladen sich einige Wolken zu einem kräftigen Regenguss. Als die ersten Tropfen fallen schaffen wir es gerade noch in einem Cafe Unterschlupf zu finden. Der heiße Milchkaffee und ein Stück Apfelkuchen schmecken ausgezeichnet. Nach weniger als einer halben Stunde ist der Spuk vorbei, die Sonnenstrahlen wärmen wieder während der letzten sechs Kilometer auf dem Weg nach Stein am Rhein. Dort haben wir den Bodensee endgültig hinter uns gelassen.
Im Tourismusbüro von Stein am Rhein frage ich nach einem Zimmer. Yvonne Bähler und ihr Mitarbeiter telefonieren sich im wahrsten Sinne des Wortes die Finger wund. Über eine Stunde sind sie am telefonieren bis sie ein Zimmer für uns gefunden haben. Danke nochmals für die tolle Unterstützung. Während der Zimmersuche verdunkelt sich die Stadt unter schwarz-violetten Wolken, die sich in einem heftigen Hagelschauer entladen. Vor der Tür der Tourismuszentrale ist der Boden der Fußgängerzone mit kleinen weißen Kugeln übersät.
Vor einigen Wochen, als ich mit Emma den kleinen und großen Arber auf dem Goldsteig überquerte hatten wir ähnliches Wetter. Damals waren wir allerdings den kleinen spitzen Kugeln von oben wehrlos ausgesetzt.
Im abendlichen Sonnenschein erkunde ich mit Emma den Altstadtkern von Stein am Rhein. Vor allem am Rathausplatz zeugen die mittelalterlichen Häuser mit eindrucksvollen Fassadenbemalungen und Erkern vom Reichtum vergangner Tage. Stille Winkel und stattliche Fachwerkhäuser lassen den Spaziergang zu einem wunderbaren Erlebnis werden. Über der Stadt thront Burg Hohenklingen.
Die Lindauer Zeitung berichtete in ihrer heutigen Ausgabe über den Grenzgänger und seine Beagle-Hündin Emma: „Keine Frage, dieser Mann erlebt unser Land mit allen Sinnen. Er wirkt überlegt, ausgeglichen und keinesfalls so, als müsse er sich morgens motivieren, weiterzulaufen. Vielmehr scheint er gespannt darauf zu sein, was die nächsten Etappen bringen“.
Morgen ziehen wir weiter Richtung Westen. Ich bin gespannt was uns auf den letzten 400 Kilometern erwartet.