Am Oberjoch versperrt Nebel die Sicht
Schattwald – Sonthofen / 11.10.2010 / 205. Tag
Österreich verabschiedet mich mit Kaiserwetter. In Schattwald ist keine Wolke am Himmel zu sehen. Wir steigen nach oben und müssen später kurz vorm Grenzverlauf die B199 queren. Bis zum Oberjoch ist es nicht mehr weit. Von deutscher Seite zieht vom Tal Nebel nach oben. Deutschland scheint im Nebel zu versinken. Die Sichtweite beträgt ganz plötzlich keine fünfzig Meter mehr.
Im Ort Oberjoch muss ich mich durchfragen. Man sieht kaum von Haus zu Haus. Ich möchte Hanspeter Lanig besuchen. Er betreibt auf dem Joch seit vielen Jahren mit seiner Familie das Hotel Lanig. Hanspeter Lanig hat viermal an Olympischen Winterspielen teilgenommen und bei der Olympiade in Squaw Valley 1960 für Deutschland die Silbermedaille in der Abfahrt gewonnen.
Den begeisterten Radrennfahrer hatte ich vor vielen Jahren bei einer Benefiz Radsportveranstaltung im Saarland kennen gelernt. Zusammen mit anderen Radlern sind wir während der Gingko-Radtour drei Tage quer durchs Saarland geradelt. Damals hatten wir uns zu einer Radtour am Oberjoch verabredet. Nun streife ich während meiner Deutschlandumrundung seine Heimat. Im Hotel frage ich nach und habe Glück. Nach etlichen Jahren schütteln wir uns die Hand, essen ein Stück Kuchen zusammen und trinken eine Tasse Kaffee.
Ich frage ihn nach seinen Grenzerfahrungen. Spontan die Antwort: „Die Radfernfahrt Trondheim-Oslo und die Andenüberquerung mit dem Fahrrad gemeinsam mit meinem Sohn“. Bei der Fernfahrt Trondheim-Oslo kann ich mitreden. Auch ich habe diese Mammut-Nonstop-Tour über 580 Kilometer vor etlichen Jahren gemeistert. Hanspeter Lanig hat sie in 18 Stunden und 6 Minuten bewältigt. Ich hatte die Tour damals in einer Zeit unter 20 Stunden absolviert. Wir nicken uns wohlwollend zu.
Zum Abschied schenkt er mir ein Kochbuch, das seine Frau Silvia geschrieben hat: „Allgäu mit Leidenschaft“, heißt das Buch der gebürtigen Schweizerin, die vor über vierzig Jahren zum ersten Mal das Oberjoch besuchte. In diesem Kochbuch geht es nicht nur ums Kochen. Alpine Lebensart, Landschaft, Brauchtum, Kultur und Tradition werden ebenfalls von der ehemaligen Redakteurin beschrieben.
Die Sonne blinzelt durch die Wolken, als ich mich von Hanspeter Lanig verabschiede. Vom 1200 Meter hohen Oberjoch muss ich ins Tal über Bad Hindelang nach Sonthofen. Als wir ankommen sehen wir die ersten Berggipfel durch die Wolken spitzen. In zwei Tagen möchte ich den südlichsten Zipfel Deutschlands erreichen. Dazu braucht es unbedingt Sonne. Ungern möchte ich auf 1800 Meter Höhe im Nebel herumirren.